Bonn, Jakarta und der Kalte Krieg by Till Florian Tömmel

Bonn, Jakarta und der Kalte Krieg by Till Florian Tömmel

Autor:Till Florian Tömmel
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2018-07-15T00:00:00+00:00


Die Massaker

Die massenhaften Morde an Mitgliedern und Sympathisanten der PKI und ihr nahestehenden Organisationen, die in Indonesien zwischen Oktober 1965 und April 1966, in abgeschwächter Intensität sogar noch bis 1969, stattgefunden haben, sind – im Verhältnis zu ihren Dimensionen – einer internationalen Öffentlichkeit bis heute wenig bekannt.1352 Unter dem Regime der „neuen Ordnung“ wurden die Massaker beschwiegen und tabuisiert – zumindest gab es keine kritische Auseinandersetzung.1353 Sie wurden von offizieller Seite gleichwohl niemals geleugnet.1354 Nach dem Übergang Indonesiens zur Demokratie ab 1998 wurde eine offenere Diskussion zwar möglich, doch insgesamt blieb die öffentliche Auseinandersetzung mit der Massengewalt der sechziger Jahre begrenzt; keiner der Täter wurde je zur Verantwortung gezogen.1355

Die Massaker begannen Anfang Oktober in der Provinz Aceh im Norden Sumatras. Die Initiative ging offenbar von örtlichen Moslemführern aus.1356 Die von den Massakern am stärksten betroffenen Regionen waren neben Nordsumatra Zentraljava, Ostjava und Bali.1357 Mordkommandos durchkämmten die Dörfer auf der Suche nach PKI-Angehörigen; für deren Identifikation benutzten sie Listen aus Büros der PKI sowie die Angaben von Dorfbewohnern.1358 In der Frühphase wurden die Morde nicht selten öffentlich, etwas später überwiegend an entlegenen Orten und nachts ausgeführt; bei letztgenanntem Vorgehen handelte es sich meist um Massaker an Personen, die schon einige Zeit in Gefangenenlagern festgehalten wurden.1359 Als Tötungswerkzeuge dienten neben Schusswaffen vielfach Stich- und Schlagwaffen.1360 Cribb stellt heraus, dass sich die Opfer vielerorts – jedenfalls in Relation zu einem gemeinhin unterstellten menschlichen „Überlebenswillen“ – erstaunlich passiv verhielten. Möglicherweise ist diese Haltung mit bestimmten Traditionen erklärbar.1361

Über die genauen Umstände der Menschenjagd ist vieles nach wie vor nicht bekannt; dies liegt insbesondere an der prekären Quellenlage und der Erinnerungspolitik der Suharto-Diktatur, welche die Massaker als Nicht-Ereignis behandelte.1362 Ein verbreitetes Missverständnis ist die in westlichen Medienberichten bis heute begegnende Vorstellung, die meisten Opfer seien ethnische Chinesen gewesen; tatsächlich waren die meisten Opfer malaiische Javaner.1363 Übertrieben ist ferner die von manchen Journalisten aufgestellte Behauptung, die Massenmorde seien überwiegend mit Unterstützung der westlichen Geheimdienste durchgeführt worden: Dies würde den Grad überschätzen, zu dem Indonesien Objekt der Einflussnahme äußerer Mächte geworden wäre. Gesichert ist, dass die US-Botschaft in Jakarta dem indonesischen Heer 1965 Listen mit den Namen von 5000 Mitgliedern der PKI zugänglichmachten.1364 Gerlach geht davon aus, dass dies zum Tod hunderter Menschen geführt habe.1365 Insgesamt waren die Massaker aber Ausdruck einer im Inneren Indonesiens entfesselten Gewaltdynamik.1366

Es liegen keine auch nur annähernd genauen Opferzahlen vor. Zeitgenössisch gingen Berichte von einer Zahl zwischen 150 000 und 600 000 Toten aus.1367 Die meisten heutigen Schätzungen, unter anderem im Oxford Handbook of Genocide Studies, gehen von etwa 500 000 Todesopfern aus.1368 Da es höchstwahrscheinlich keine Aufzeichnungen über die Tötungen gibt, sind diese Angaben mit Vorsicht zu behandeln: Es könnten auch halb so viele oder doppelt so viele Menschen der Massengewalt zum Opfer gefallen sein.1369 Im Zweifelsfall dürfte die Zahl der Ermordeten wohl höher als 500 000 sein.1370 Während es in Java die höchste absolute Zahl an Toten gab, hatte Bali die höchste Opferzahl im Verhältnis zur Einwohnerschaft.1371 Die Geschehnisse hatten starke Tendenzen zur Selbstverstärkung: Cribb merkt an, dass die Auslösung von



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